Eine der zentralen Erkenntnisse der Neurobiologie ist die Tatsache, dass das Gehirn darauf ausgelegt ist, vielfältige soziale Erfahrungen zu machen, und dass der Einfluss, welcher Art diese Erfahrungen sind, nicht zu unterschätzen ist. Eine der entscheidenden Fähigkeiten, die unser Gehirn mitbringt, ist die Möglichkeit der Spiegelung dessen, was ein anderer Mensch tut oder was in ihm vorgeht. Das Prinzip ist folgendes: Für jede Bewegung, die man machen kann, gibt es bestimmte Neurone (Nervenzellen), die diese Bewegung steuern. Der Clou ist, dass genau diese Neurone auch dann aktiv werden, wenn wir beobachten (oder hören), wie jemand anderes diese Bewegung macht. Das kann alles Mögliche sein – ein Greifen nach einem Gegenstand, ein Stirnrunzeln, ein Lächeln, eine Drohgebärde oder ein Schmerzsignal. Unser Gehirn erzeugt quasi eine Simulation des anderen in uns selbst. Überdies funktioniert dieser Mechanismus nicht nur für körperliche Bewegungen, sondern auch in Bezug auf Gefühle. Da wir das, was wir beim anderen wahrnehmen, in uns selbst abbilden, färbt dessen Befindlichkeit gewissermaßen auf uns ab – wer ängstlich ist, wird eher ruhiger, wenn sein Gegenüber gelassen bleibt, oder wenn der Partner Schmerzen erleidet, spürt man diese selbst körperlich. Die Neurone, die diese Spiegelungseigenschaft besitzen, heißen Spiegelneurone. Sie wurden von dem italienischen Forscher Giacomo Rizzolatti entdeckt (eine gute Darstellung dazu bietet Joachim Bauer 2006).
Aufgrund dessen, was wir beim anderen wahrnehmen, und der Aktivität unserer Spiegelneurone bildet sich in unserem Gehirn eine Repräsentation der Befindlichkeit des anderen. Je besser unserem Gehirn dies gelingt, desto stärker ist das ausgeprägt, was wir Empathie (s. dort) oder Einfühlungsvermögen nennen. Aber die Beherrschung dessen fällt nicht vom Himmel. Das tut nur die Möglichkeit, es zu lernen – in unserer biologischen Grundausstattung ist die Spiegelungsfähigkeit angelegt. Wir sind vom Tag der Geburt an darauf angewiesen, Menschen um uns zu haben, die unser Spiegelsystem ansprechen und zur Nutzung anregen, damit es sich gut ausbilden kann. Dieser Prozess hört nicht mit der Einschulung oder der Volljährigkeit auf, wir sind unser Leben lang auf Resonanz bei anderen Menschen angewiesen.